3. März 2013

SCHÖN BLÖD (Marios Märchenstunde Teil 3)


[Teil 1] [Teil 2]

Kannibalismus, Folter und Auftragsmord... wir setzen unsere fantastische Reise durch die wunderbare Welt der Märchen fort - mit der bezaubernden Geschichte von Schneewittchen und den sieben kleinwüchsigen Männern (hier online).





WHITE PRIDE

Unsere Geschichte beginnt, als die Königin eines namenlosen Reiches sich beim Nähen in den Finger sticht. Komisch, sollte man doch denken, dass eine Königin für so etwas Personal hat. Zum Nähen, meine ich, nicht zum in den Finger stechen. (Aber dafür auch.)

"Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab. Da saß eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee."

Da ihr die Farbkombination vom rotem Blut, weißem Schnee und schwarzen Holz extrem gut gefällt, wünscht sich die Königin spontan ein Kind in diesen Farben. Und durch einen verrückten Zufall kriegt sie tatsächlich kurz darauf ein Baby mit weißer Haut, schwarzen Haaren und roten... äh, keine Ahnung...

"Und weil das Rote im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich: Hätt' ich ein Kind, so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen!
Bald darauf bekam sie ein Töchterlein, das war so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz und ward darum Schneewittchen (Schneeweißchen) genannt."

Gut, dass es nicht Sommer war und das Blut auf eine grüne Wiese gefallen ist. Das sähe wohl eher seltsam aus.

Genau erfahren wir nicht, wie die Näh-Episode und das Erscheinungsbild von Schneewittchen zusammenhängen. War es ein Zufall oder wurde der Königin tatsächlich von irgendwem (Allah?) ihr Wunsch erfüllt? Falls letzteres stimmt, hätte die Dame sich lieber ein langes Leben wünschen sollen, anstatt die Haarfarbe ihrer Tochter bestimmen zu dürfen. Die Chancen, dass Schneewittchen als Kind zweier weißer Menschen selbst auch eine weiße Hautfarbe hat, stünden wohl auch ohne magische Intervention gar nicht so schlecht.




MIRROR, MIRROR ON THE WALL

Kurz nach der Geburt der Prinzessin stirbt die Königin und wird innerhalb eines Jahres durch eine neue ausgetauscht. Die neue Königin ist die attraktivste Dame im ganzen Land. Einen weiteren Grund, warum der König sie zu seiner neuen Gemahlin macht, scheint es nicht zu geben.
Und ich hab mir in meinen kindlichen Fantasie immer ausgemalt, Könige würden ihre Frauen in erster Linie auf Grund ihrer Herkunft aus mächtigen Adelsfamilien heiraten und nur ihre Konkubinen allein wegen deren Attraktivität aussuchen. Die Naivität der Jugend...

"Und wie das Kind geboren war, starb die Königin. Über ein Jahr nahm sich der König eine andere Gemahlin. Es war eine schöne Frau, aber sie war stolz und übermütig und konnte nicht leiden, dass sie an Schönheit von jemand sollte übertroffen werden."





Die neue Königin besitzt einen sprechenden Spiegel, der Informationen gegen Reime tauscht.

"Sie hatte einen wunderbaren Spiegel wenn sie vor den trat und sich darin beschaute, sprach sie: 
»Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land?«

so antwortete der Spiegel: 
»Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land.« 

Da war sie zufrieden, denn sie wusste, dass der Spiegel die Wahrheit sagte."

Fragt sich, woher die Königin so genau weiß, dass der Spiegel nicht lügt. Auch auf die Gefahr hin, mal wieder eine Bildungslücke zu offenbaren: Ist es etwa eine allgemein bekannte Tatsache, dass sprechende Spiegel besonders vertrauenswürdig sind? Ich hätte eher vermutet, dass sie notorische Lügner sind und einen noch fetter und hässlicher aussehen lassen als man eh schon ist, diese heimtückischen Bastarde.

Wieso ist sich die Königin überhaupt so sicher, dass der Spiegel nicht nur diesen einzigen Satz sprechen kann? Bisher hat er ja nie etwas anderes gesagt.
Oder vielleicht erzählt er ihr nur das, was sie hören will, damit er seine Ruhe hat, um die Dinge zu tun, die Spiegel nun mal so tun - was immer das sein mag (Spiegeln? Wochenmagazine schreiben? Kokain?).


Schönste Frau im Lande, mit den Traummaßen 50-30-170


Woher der Spiegel seine Informationen hat, wird uns nicht mitgeteilt. Aber anscheinend sollen wir glauben, dass er allwissend ist und jede Frage wahrheitsgemäß beantwortet, solange sie sich reimt.
Dass die Königin einen solchen Wunder-Spiegel einzig und allein dazu benutzt, ein magisches "Hot or Not"-Ranking zu veranstalten, zeigt wohl, dass sie tatsächlich sehr doll auf ihr Aussehen fixiert ist. Gäbe es nicht unendlich viele weitere nützliche Anwendungsmöglichkeiten, außer ständig nach attraktiven Frauen suchen zu lassen? Na gut, das könnte man vom Internet auch behaupten (- wenn man geisteskrank ist).



WHO IS THE FAIREST OF THEM ALL?

Es vergehen ein paar Jahre, Schneewittchen wird älter und schöner - und eines Tages ändert sich die Antwort des Spiegels...

"Als diese einmal ihren Spiegel fragte: 
»Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land?«

so antwortete er: 
»Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
Aber Schneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr.«"

Diese zwei Zeilen widersprechen sich. Inwiefern soll die Königin die Schönste "hier" sein? Immerhin wohnt ihre noch schönere Stieftochter im selben Schloss wie sie.
Na ja, egal, Hauptsache, es reimt sich, denn was sich reimt ist gut, sagte einmal ein weiser Klabautermann.

Aber warum hat der blöde Spiegel die Königin nicht mal ein wenig früher warnen können, als Schneewittchen nur beispielsweise 800 oder 900 mal schöner als ihre Stiefmama war?
Mich würden auch mal die exakten, objektiven Kriterien interessieren, die bestimmen, dass Schneewittchen schöner ist als die Königin, und zwar genau um den Faktor 1000. Da der Spiegel ja stets die Wahrheit verkündet, muss es die ja geben. Leute, die glauben, Schönheit liege im Auge des Betrachters, scheinen sich zu irren, denn der Spiegel hat ja nicht einmal Augen.
Oder verkündet der Spiegel tatsächlich nur seine subjektive Meinung, wer denn nach seinem persönlichen Geschmack hübscher sei?

"Da erschrak die Königin und ward gelb und grün vor Neid. Von Stund an, wenn sie Schneewittchen erblickte, kehrte sich ihr das Herz im Leibe herum - so hasste sie das Mädchen. Und der Neid und Hochmut wuchsen wie ein Unkraut in ihrem Herzen immer höher, dass sie Tag und Nacht keine Ruhe mehr hatte."


Da die Königin unbedingt vom sprechenden Spiegel für die schönste Dame der Nation gehalten werden will, muss Abhilfe geschaffen werden. Keine Sorge, die Frau spritzt der jungen Prinzessin nicht etwa Säure ins Gesicht oder so - es ist ja ein Märchen für Kinder. Es scheint Ihrer Majestät stattdessen die beste Lösung zu sein, ihre Stieftochter ermorden zu lassen und ihre Organe zu verspeisen.



MY LITTLE RUNAWAY

Unglücklicherweise kennt die Königin wohl keine Ritter, Soldaten, Henker oder Ninjas - Männer, deren Beruf es ist, Menschen zu töten, und die deshalb den Job ohne Skrupel durchziehen würden. So beauftragt sie einen Jäger mit dem Mordanschlag.

"Da rief sie einen Jäger und sprach: 
"Bring das Kind hinaus in den Wald, ich will's nicht mehr vor meinen Augen sehen. Du sollst es töten und mir Lunge und Leber zum Wahrzeichen mitbringen.""


Ein geübter Mörder würde der nichts ahnenden Prinzessin wahrscheinlich einen Pfeil durch den Rücken jagen oder ein Messer, so dass sie ihren Tod nie kommen sieht. Nicht aber der Jäger, der wahrscheinlich bisher nur geistig behinderte oder blinde Tiere erfolgreich töten konnte.

"Der Jäger gehorchte und führte es hinaus, und als er den Hirschfänger gezogen hatte und Schneewittchens unschuldiges Herz durchbohren wollte, fing es an zu weinen und sprach: 
»Ach, lieber Jäger, lass mir mein Leben! Ich will in den wilden Wald laufen und nimmermehr wieder heimkommen.«"


Der Umstand, dass der Jäger ein moralisch integerer Mensch ist, rettet Schneewittchen das Leben. Ein so schönes Mädchen ermorden, denkt er sich, wäre doch schade drum! Wenn die Alte hässlich wäre, klar! Aber so bringt er es nicht über sein gutes Herz.

"Und weil es gar so schön war, hatte der Jäger Mitleiden und sprach: 
»So lauf hin, du armes Kind!«"





Töten ist Sünde, findet der Jäger, und lässt Schneewittchen allein in einem Wald, in dem sie höchstwahrscheinlich sehr bald von wilden Tieren getötet wird. Von denen wimmelt es nämlich in diesem Wald. Kein Wunder, bei der suboptimalen Jagdmethode, dem sich-frontal-mit-einem-Messer-in-der-Hand-Anschleichen.
Immerhin funktioniert es manchmal bei Baby-Tieren.

"Die wilden Tiere werden dich bald gefressen haben, dachte er, und doch war's ihm, als wäre ein Stein von seinem Herzen gewälzt, weil er es nicht zu töten brauchte. 

Und als gerade ein junger Frischling dahergesprungen kam, stach er ihn ab, nahm Lunge und Leber heraus und brachte sie als Wahrzeichen der Königin mit. Der Koch musste sie in Salz kochen, und das boshafte Weib aß sie auf und meinte, sie hätte Schneewittchens Lunge und Leber gegessen."


Schneewittchens Stiefmutter verkörpert die stereotype Märchenrolle der bösen Stiefmutter. Jedoch nicht in allen Versionen: So ist es in der ersten von Grimm veröffentlichten Auflage der "Kinder- und Hausmärchen" von 1812 noch die leibliche Mutter, die ihre Tochter zum Fressen gern hat...



SMALL HOUSE MOVEMENT

Anstatt nach Hause zu gehen und ihrem Vater, dem König, zu erzählen, dass ein Jäger sie beinahe ermordet hat, rennt Schneewittchen auf und davon, bis sie schließlich am Abend an eine kleine Hütte kommt. Da das Haus nicht abgeschlossen ist, geht Schneewittchen hinein.

Obwohl die Besitzer der Hütte nicht anwesend sind, stehen ihre Teller gedeckt auf dem Tisch.


"Es lief, so lange nur die Füße noch fortkonnten, bis es bald Abend werden wollte. Da sah es ein kleines Häuschen und ging hinein, sich zu ruhen. In dem Häuschen war alles klein, aber so zierlich und reinlich, daß es nicht zu sagen ist. 

Da stand ein weißgedecktes Tischlein mit sieben kleinen Tellern, jedes Tellerlein mit seinem Löffelein, ferner sieben Messerlein und Gäblelein und sieben Becherlein. An der Wand waren sieben Bettlein nebeneinander aufgestellt und schneeweiße Laken darüber gedeckt." 

Ich kann nicht genau sagen, warum, aber irgend etwas sagt mir, dass in der Hütte genau sieben Menschen wohnen. Vielleicht habe ich hellseherische Fähigkeiten.
Wahrscheinlich...
Bestimmt!


Schneewittchen isst ein wenig, trinkt etwas Wein und geht dann schlafen, da sie von dem langen Marsch und dem anschließenden Einbruch und Diebstahl müde geworden ist. Doch das stellt sich als gar nicht so leicht heraus, wie man vielleicht denken könnte.

"Schneewittchen, weil es so hungrig und durstig war, aß von jedem Tellerlein ein wenig Gemüs' und Brot und trank aus jedem Becherlein einen Tropfen Wein; denn es wollte nicht einem alles wegnehmen. 
Hernach, weil es so müde war, legte es sich in ein Bettchen, aber keins paßte; das eine war zu lang, das andere zu kurz, bis endlich das siebente recht war; und darin blieb es liegen, befahl sich Gott und schlief ein."

Wer kennt nicht das Problem, dass das Bett zu lang ist? Eines der großen Probleme der Menschheitsgeschichte.

Doch dann geschieht etwas, mit dem niemand hätte rechnen können. Und mit "niemand" meine ich "jeder". Die Bewohner des Hauses kehren schließlich zurück in ihr Heim an ihren gedeckten Tisch.

In vielen mythologischen Erzählungen gibt es kleine, magische Wesen, die als Zwerge bezeichnet werden. Die "Zwerge" in "Schneewittchen" sind allerdings ganz normale Menschen mit geringer Körpergröße. Dazu passt auch ihr Beruf als Bergmänner im Erzgebirge. Da damals nämlich die Stollen mit der Hand aus dem Berg geschlagen wurden, machte man sie so eng wie möglich und stellte kleine Menschen als Bergarbeiter ein, also Kinder und Kleinwüchsige.


"Als es ganz dunkel geworden war, kamen die Herren von dem Häuslein, das waren die sieben Zwerge, die in den Bergen nach Erz hackten und gruben. 
Sie zündeten ihre sieben Lichtlein an, und wie es nun hell im Häuslein ward, sahen sie, daß jemand darin gesessen war, denn es stand nicht alles so in der Ordnung, wie sie es verlassen hatten."

Vielleicht hätten sie die Tür einfach abschließen sollen. Unwahrscheinlich, dass Schlösser knacken zu den Dingen gehört, die eine durchschnittliche Prinzessin beherrscht.


"Der erste sprach: »Wer hat auf meinem Stühlchen gesessen?« 
Der zweite: »Wer hat von meinem Tellerchen gegessen?« 
Der dritte: »Wer hat von meinem Brötchen genommen?« 
Der vierte: »Wer hat von meinem Gemüschen gegessen?« 
Der fünfte: »Wer hat mit meinem Gäbelchen gestochen?« 
Der sechste: »Wer hat mit meinem Messerchen geschnitten?« 
Der siebente: »Wer hat aus meinem Becherlein getrunken?« 
Dann sah sich der erste um und sah, daß auf seinem Bett eine kleine Delle war, da sprach er: 
»Wer hat in mein Bettchen getreten?«"

Dafür dass alle sieben Bewohner des Hauses gemeinsam heimkehren und es daher unmöglich einer von ihnen gewesen sein kann, stellen sie ganz schön viele dumme Fragen...



HERE BE DRAGONS

Die WG-Bewohner finden plötzlich die Schönste im ganzen Land unerwartet in ihrem Bett. Geht mir auch ständig so.

"Die anderen kamen gelaufen und riefen: 
»In meinem hat auch jemand gelegen!« 
Der siebente aber, als er in sein Bett sah, erblickte Schneewittchen, das lag darin und schlief. Nun rief er die andern, die kamen herbeigelaufen und schrien vor Verwunderung, holten ihre sieben Lichtlein und beleuchteten Schneewittchen.
 »Ei, du mein Gott! Ei, du mein Gott!« riefen sie, »was ist das Kind so schön!« 
Und hatten so große Freude, daß sie es nicht aufweckten, sondern im Bettlein fortschlafen ließen." 




Der arme "siebente Zwerg", der wie seine Kollegen keinen Namen zu haben scheint, muss jede Stunde aufwachen und das Bett wechseln, weil... Weiß auch nicht.
Am nächsten Morgen erwacht Schneewittchen und ist völlig überrascht davon, dass in der Hütte mit dem gedeckten Tischen und den gemachten Betten Leute wohnen...

"Der siebente Zwerg aber schlief bei seinen Gesellen, bei jedem eine Stunde, da war die Nacht herum. Als es Morgen war, erwachte Schneewittchen, und wie es die sieben Zwerge sah, erschrak es."


Die Männer bieten Schneewittchen einen Deal an. Sie macht den Haushalt und bekommt im Gegenzug Kost und Logis. Jeder weiß, dass Prinzessinnen die qualifiziertesten Personen für Arbeiten im Haushalt sind.

"Die Zwerge sprachen: »Willst du unsern Haushalt versehen, kochen, betten, waschen, nähen und stricken, und willst du alles ordentlich und reinlich halten, so kannst du bei uns bleiben, und es soll dir an nichts fehlen.« 
»Ja«, sagte Schneewittchen, »von Herzen gern!« und blieb bei ihnen. Es hielt ihnen das Haus in Ordnung. Morgens gingen sie in die Berge und suchten Erz und Gold, abends kamen sie wieder, und da mußte ihr Essen bereit sein." 


So kommt es, dass Schneewittchen bei den Bergmännern Unterschlupf findet. Die sind zwar freundlich, aber auch ein wenig langweilig.
In alternativen Versionen des Märchens wohnt Schneewittchen immerhin bei Räubern.
Aber das ist nichts im Vergleich zu einer Fassung, die in Albanien erzählt wurde. Darin wohnt Schneewittchen bei vierzig Drachen, was nach allen wissenschaftlich objektiven Maßstäben unbestritten sehr viel cooler ist.



MAN IN THE MIRROR

"Den ganzen Tag über war das Mädchen allein; da warnten es die guten Zwerglein und sprachen: »Hüte dich vor deiner Stiefmutter, die wird bald wissen, daß du hier bist; laß ja niemand herein!«"

Da Schneewittchen den ganzen Tag im Haus bleibt, kann sie eigentlich niemandem ihren Aufenthaltsort verraten. Wieso sind sich also die Bergmänner - die jetzt nicht einmal mehr "Zwerge" sein dürfen, sondern nur noch "Zwerglein" - so sicher, dass die Königin jemals etwas von Schneewittchens Versteck erfährt? Klar, die Königin besitzt einen Zauberspiegel, aber davon geht man doch normalerweise nicht einfach aus, das ist doch eher die Ausnahme.
Ich denke, sie wollen einfach mit ihrer neuen Haushälterin vor ihren Kumpeln auf der Arbeit angeben. 
So etwa: "Heigh-Ho! Na, Kollege, was macht denn deine Haushälterin heute zu essen?! Ooooh ja, ich hab ja ganz vergessen, du hast ja gar keine! Harharharhar! Bitch!"




"Die Königin aber, nachdem sie Schneewittchens Lunge und Leber glaubte gegessen zu haben, dachte nicht anders, als sie wäre wieder die Erste und Allerschönste, trat vor ihren Spiegel und sprach:
»Spieglein, Spieglein. an der Wand, 
Wer ist die Schönste im ganzen Land?«

Da antwortete der Spiegel:
»Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, 
Aber Schneewittchen über den Bergen 
Bei den sieben Zwergen 
Ist noch tausendmal schöner als Ihr.«"


Durch den Spiegel erfährt die böse Königin nicht nur, dass Schneewittchen immer noch lebendig ist - oder aber selbst als Leiche schöner ist als sie - sondern auch, wo sie sich versteckt hält.
Dies war streng genommen nicht Teil der direkten Antwort auf die Frage, wer (und nicht wo) die Schönste im ganzen Land sei. Dies bedeutet, der Spiegel ist kein einfaches Wahrheitsfindungsinstrument, sondern ein magisches Wesen mit einer individuellen Persönlichkeit. Da stellt sich mir die Frage: Woher kommt der Spiegel?

Hat er schon immer existiert, von Anbeginn der Zeit? Oder wurde er durch Magie erschaffen, vielleicht durch die Königin selbst? Oder ist es ein verzauberter Mensch? Oder kam er auf natürlichem Wege in diese Welt, als ein männlicher und ein weiblicher sprechender Spiegel sich ganz doll lieb hatten und... irgendwas gemacht haben? Ich will es mir eigentlich gar nicht vorstellen...

Um diese Frage zu klären, sollte mal jemand ein Prequel drehen.
Als Slogan für den Trailer könnte man zum Beispiel dies hier nehmen, falls es ein Drama ist: [Traurige Klaviermusik, tiefe Männerstimme] "Anton Spiegelstein war anders als alle anderen, etwas ganz besonderes. Er hatte die Fähigkeit, die ganze Welt zu sehen. Doch das einzige, was er niemals sehen konnte... war er selbst. "Der Spiegel zur Seele", jetzt im Kino".
Oder falls es ein Horrorfilm sein soll: [Ominöse Trommeln, Soundeffekte: Schneller, lauter Atem und Herzschlag]: "Du denkst, du kannst entkommen. Du denkst, er kann dich nicht finden. Doch... Vor seinem Spiegelbild kann man sich nicht verstecken. [Soundeffekt: SCHREI!] "Mirror Man: Awakening" In 3D".
Oder als Komödie: [Hohe, hysterische, alberne "Männer"-Stimme] "Um die Schönste im ganzen Land zu kriegen [Soundeffekt: Kratzen einer Schallplattennadel, dann "Walking on Sunshine"]... muss man ganz schön glänzen! Rob Schneider ist "Mirror Man - Ich seh' was, das du nicht siehst!".

Das schreibt sich ja fast von alleine... Also, Hollywood, wenn du das hier liest, ruf mich an!



LET THE RIGHT ONE IN

Obwohl die Ortsangabe "über den Bergen" nicht furchtbar exakt ist, kann die Königin ihre Stieftochter schnell ausfindig machen. Vielleicht sind die "sieben Zwerge" überregional bekannt. Sie verkleidet sich als Vertreterin für Korsetts und klopft bei Schneewittchen an der Tür. Trotz der Warnung, dass sie niemanden hereinlassen soll, lässt Schneewittchen sie auf der Stelle herein, da sie ihrer Meinung nach "ehrlich" aussieht.
Bei einer vermeintlichen Demonstration ihrer Ware schnürt die falsche Vertreterin ihr die Luft ab, so dass sie besinnungslos zu Boden fällt. Die Königin gibt einen coolen Spruch von sich und macht sich aus dem Staub.

"Die ehrliche Frau kann ich hereinlassen, dachte Schneewittchen, riegelte die Türe auf und kaufte sich den hübschen Schnürriemen. 
»Kind«, sprach die Alte, »wie du aussiehst! Komm, ich will dich einmal ordentlich schnüren.« Schneewittchen hatte kein Arg, stellte sich vor sie und ließ sich mit dem neuen Schnürriemen schnüren. Aber die Alte schnürte geschwind und schnürte so fest, daß dem Schneewittchen der Atem verging und es für tot hinfiel. 

»Nun bist du die Schönste gewesen«, sprach sie und eilte hinaus."





Die Hausherren finden Schneewittchen am Abend so auf. Nachdem sie den Schnürriemen entfernen, erwacht sie aber sofort wieder und ist völlig in Ordnung. Dies ist seltsam, wissen wir Mediziner doch heutzutage, dass eine derart lange Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr zum Gehirn zu einem Zustand führt, der in der Fachliteratur als "tot" bezeichnet wird.



ALL WORK AND NO PLAY

"Sie hoben es in die Höhe, und weil sie sahen, daß es zu fest geschnürt war, schnitten sie den Schnürriemen entzwei; da fing es an ein wenig zu atmen und ward nach und nach wieder lebendig."

Als die Königin von ihrem Spiegel erfährt, dass ihr Mordanschlag gescheitert ist, heckt sie einen neuen Plan aus.

"»Nun aber«, sprach sie«, will ich etwas aussinnen, das dich zugrunde richten soll«, und mit Hexenkünsten, die sie verstand, machte sie einen giftigen Kamm."

Plötzlich erfahren wir aus heiterem Himmel, dass die Königin Hexenkünste besitzt - im Gegensatz zur Frau, die in "Hänsel und Gretel" ausschließlich als "Hexe" bezeichnet wird.
Das waren wohl härtere Zeiten früher, in denen sich nicht jeder vergiftete Kämme leisten konnte, denn damals brauchte man dafür offenbar Hexenkünste. Heute würde man wahrscheinlich einfach Gift benutzen.

Schneewittchen ist nun aber vorgewarnt. Sie weiß, dass ihre Stiefmutter ihren Aufenthaltsort kennt und dass sie wahrscheinlich verkleidet ist, wie zum Beispiel beim letzten Mal als alte Frau.
Die Königin kann Schneewittchen aber dadurch überlisten, dass sie sich als "andere" alte Frau verkleidet...

"Dann verkleidete sie sich und nahm die Gestalt eines anderen alten Weibes an."

Genial.

"Als sie des Kaufs einig waren, sprach die Alte: »Nun will ich dich einmal ordentlich kämmen.« Das arme Schneewittchen dachte an nichts, ließ die Alte gewähren, aber kaum hatte sie den Kamm in die Haare gesteckt, als das Gift darin wirkte und das Mädchen ohne Besinnung niederfiel. 

»Du Ausbund von Schönheit«, sprach das boshafte Weib, »jetzt ist's um dich geschehen«, und ging fort."




Entweder ist Schneewittchen extrem blöd oder sehr schlau. Auf den selben Trick zweimal hereinzufallen ist nicht sehr klug - aber vielleicht war es ja Absicht...
Durch den ersten Vorfall weiß Schneewittchen, dass man sie temporär außer Gefecht setzen kann, sie aber prinzipiell unsterblich ist - was sich dadurch bestätigt, dass ihre Gastgeber den giftigen Kamm entfernen und Schneewittchen schlagartig wieder vollkommen gesund ist.
Wahrscheinlich wollte sie sich einfach vor der Hausarbeit drücken...



THIRD TIME'S THE CHARM

Natürlich erfährt die Königin durch ihren Spiegel wieder, dass ihre Stieftochter immer noch am Leben ist. Nachdem sie es mit Tod durch Strangulieren versucht hat und dann mit Gift, versucht sie es nun... mit Gift? Sehr kreativ...

"Darauf ging sie in eine ganz verborgene, einsame Kammer, wo niemand hinkam, und machte da einen giftigen Apfel. Äußerlich sah er schön aus, weiß mit roten Backen, daß jeder, der ihn erblickte, Lust danach bekam, aber wer ein Stückchen davon aß, der mußte sterben." 


Wenn ich die böse Königin wär - leider fehlt mir dazu noch eine Krone - wäre ich zum Haus gegangen, hätte die Tür verriegelt und die ganze Hütte abgebrannt. Da hätten die dann obdachlosen Bergleute einmal schauen können, wie sie Schneewittchen wieder zum Leben erwecken, wenn sie nur noch aus Asche besteht!
Na ja, vielleicht sollte ich nicht so stolz darauf sein, besser im Bösewichttum zu sein als die Königin, die ihre eigene Stieftochter töten und essen will.
Oder doch?..

Vielleicht hätte es auch eine diplomatische Lösung getan. So hätte die Königin ihren Mann bestimmt unter einem Vorwand davon überzeugen können, das Land, auf dem das Haus der Zwerge steht, an ein anderes Königreich zu verschenken. Dann wäre sie auch ohne Schneewittchens Tod wieder die Schönste im ganzen Land.

Allerdings sieht die Apfel-Methode ebenfalls erst einmal erfolgversprechend aus. Die böse Königin kann Schneewittchen davon überzeugen, in den giftigen Apfel zu beißen und Schneewittchen scheint mal wieder tot zu sein.

"Und als sie daheim den Spiegel befragte:
»Spieglein, Spieglein an der Wand, 
Wer ist die Schönste im ganzen Land?«

so antwortete er endlich:
»Frau Königin, Ihr seid de Schönste im Land.«

Da hatte ihr neidisches Herz Ruhe, so gut ein neidisches Herz Ruhe haben kann."





WHAT IS DEAD MAY NEVER DIE

Diesmal gelingt es den Bergarbeitern nicht, Schneewittchen von den Toten zurückzuholen. Sie schenken die Leiche einem zufällig vorbeireisenden Prinzen, der Schneewittchens Leiche in seinem Palast ausstellen will, wahrscheinlich neben seinen ausgestopften Tieren.
Als die Diener des Prinzen beim Transport des Sarges stolpern, rutscht das Stück vom vergifteten Apfel aus Schneewittchens Hals und sie ist wieder völlig okay.

 "Da geschah es, daß sie über einen Strauch stolperten, und von dem Schüttern fuhr der giftige Apfelgrütz, den Schneewittchen abgebissen hatte, aus dem Hals. Und nicht lange, so öffnete es die Augen, hob den Deckel vom Sarg in die Höhe und richtete sich auf und war wieder lebendig." 





Der Prinz gesteht seine tiefe, seelendurchdringende Liebe zu Schneewittchen, mit der er zuvor noch nie gesprochen hat und über die er rein gar nichts weiß - eine Liebe, die darauf beruht, dass er sie wahnsinnig attraktiv findet. Also etwas, das für die Ewigkeit gemacht ist, denn Schönheit ist ja bekanntlich unvergänglich.
Dies ist höchstwahrscheinlich die beste und stabilste Grundlage für eine Ehe, die es gibt, denkt sich der Prinz und bittet Schneewittchen, ihn zu heiraten. Na gut, es ist technisch gesehen nicht direkt eine Bitte, sondern mehr eine Aufforderung. Romantik pur!

"»Ach Gott, wo bin ich?« rief es. Der Königssohn sagte voll Freude: 
»Du bist bei mir«, und erzählte, was sich zugetragen hatte, und sprach: 
»Ich habe dich lieber als alles auf der Welt; komm mit mir in meines Vaters Schloß, du sollst meine Gemahlin werden.«"


So feiern die beiden Hochzeit. Wahrscheinlich bin ich einfach spießig - und es war ja auch eine andere Zeit damals - aber dennoch finde ich, Schneewittchen ist ein wenig zu jung dafür. Sie könnte wirklich noch ein, zwei Jahre warten, bevor sie heiratet.
Oh, sorry, ich hatte vergessen zu erwähnen, wie alt sie in dem Märchen ist.

"Schneewittchen aber wuchs heran und wurde immer schöner, und als es sieben Jahre alt war, war es so schön, wie der klare Tag und schöner als die Königin selbst." 



PUT ON YOUR RED SHOES AND DANCE THE BLUES

Viele Menschen sind eher mit dem Ende aus der Disney-Verfilmung vertraut. Darin wird Schneewittchen vom Prinzen, den sie dort zuvor schon im Wachzustand kennengelernt hatte, mit einem Kuss wiedererweckt.
In der Version der Grimms ist es ab der zweiten Auflage eine Erschütterung beim Sargtransport. In der ersten Fassung von 1812 ist das noch anders. Falls ihr also Wert auf Authentizität legt, solltet ihr euren Kindern diese Variante vorlesen.

In der ersten Auflage nimmt der Prinz ebenfalls den Sarg mit, jedoch wacht Schneewittchen davon nicht auf. Auch nicht, als er regelmäßig mit der sexy Siebenjährigen intim wird. Erst als ein Diener, der davon angewidert ist, Schneewittchen auf den Rücken schlägt, erwacht sie wieder. Happy End!

"Ein Prinz kommt vorbei und bittet die Zwerge, ihm den Sarg zu geben, nimmt ihn mit und daheim läßt er es auf ein Bett legen und putzen, als wär es lebendig, und liebt es über alle Maßen, ein Diener muß ihm auch beständig aufwarten. 
Der wird einmal bös darüber: „da soll man dem todten Mädchen thun, als wenn es lebte!“ giebt ihn einen Schlag in den Rücken, da fährt der Apfelbissen aus dem Mund, und Sneewittchen ist wieder lebendig."





Na gut, vielleicht hatte der Prinz auch keinen Sex mit dem komatösen Kind, "liebt es über alle Maßen" könnte auch harmloser gemeint sein. Aber meine Vermutung entspringt nicht allein meiner perversen Fantasie, sondern basiert auf einer guten, alten Märchentradition (dazu gleich mehr...).

Bestenfalls weckt das ursprüngliche Ende leise Zweifel über den Geisteszustand des Prinzen, der eine Kinderleiche so behandelt, als wäre sie lebendig...
Dies haben die Grimm-Brüder in der zweiten Auflage korrigiert, um das Märchen kindgerechter zu machen. Außerdem haben sie noch eine Szene hinzugefügt, in der die böse Stiefmutter auf Schneewittchens Hochzeit brutal zu Tode gefoltert wird.
Ansonsten hätten sich die Kinder wahrscheinlich beschwert, dass die Geschichte zu wenig verstörend ist.

"Und wie sie hineintrat, erkannte sie Schneewittchen, und vor Angst und Schrecken stand sie da und konnte sich nicht regen. Aber es waren schon eiserne Pantoffel über Kohlenfeuer gestellt und wurden mit Zangen hereingetragen und vor sie hingestellt. 
Da mußte sie in die rotglühenden Schuhe treten und so lange tanzen, bis sie tot zur Erde fiel."

Und nun schlaft schön, Kinder.





I JUST WANT YOUR EXTRA TIME AND YOUR
KISS

Das Motiv des Wachküssens gibt es zwar in der Grimm'schen Fassung von "Schneewittchen" nicht, dafür aber in "Dornröschen". Dieses Märchen beginnt, als ein kinderloses Königspaar von einem sprechenden Krebs (in späteren Auflagen ist es ein Frosch) die Prophezeiung erhält, dass die Königin bald eine Tochter bekommen wird.
Um dies zu feiern, richten die Eltern in spe ein großes Fest aus. Sie laden unter anderem alle großen Feen des Landes ein - bis auf eine: Blöderweise haben sie nämlich nur zwölf goldene Teller, aber dreizehn Feen.
Die ungeladene Fee kommt trotzdem und sagt voraus, dass sich das Kind im Alter von 15 Jahren an einer Spindel stechen und daran sterben werde. Die anderen Feen können dies zwar nicht rückgängig  machen, allerdings sind sie in der Lage, den Tod in einen hundertjährigen Schlaf umzuwandeln.

Der König erklärt Spindeln für illegal und macht damit einen ganzen Berufsstand in seinem Reich arbeitslos. Er tut alles Erdenkliche, um seine Tochter vor dem prophezeiten Schicksal zu retten. Na gut, fast alles: Auf die Idee, sie rund um die Uhr von einem Diener bewachen zu lassen, kommt er nicht. Und so sticht sich Dornröschen an einer Spindel und fällt ins Koma, zusammen mit allen anderen Menschen in dem Schloss, das plötzlich von magischen Dornensträuchern umwuchert wird.




Einige Prinzen versuchen sie zu befreien, sterben aber in den Dornen. Schließlich schafft es ein Prinz durchzudringen und entdeckt Dornröschen. In späteren Auflagen passiert dies an dem Tag, an dem Dornröschen sowieso auch von selbst erwacht wäre, in den früheren Fassungen heißt es nur, es sei nach "langen, langen Jahren" geschehen.
Da der Prinz von Dornröschens Schönheit betört ist, küsst er die bewusstlose Frau kurzerhand. Heutzutage würde man das wohl sexuelle Belästigung nennen.
Durch den Kuss erwacht sie und mit ihr der ganze Hofstaat. Doch nicht in allen Fassungen der Geschichte...




"Dornröschen" wurde in Variationen in ganz Europa erzählt. Eine Fassung namens "Sonne, Mond und Thalia" wurde bereits 1634 von dem italienischen Märchensammler Giambattista Basile aufgeschrieben [hier online]. Darin vergewaltigt der Prinz die schlafende Schönheit und schwängert sie.
Sie bekommt Zwillinge, die an ihrem Daumen lutschen und so den Splitter entfernen, der sie im Tiefschlaf gefangen hielt. Unsere Märchenprinzessin wacht auf und hat nun zwei ungewollte Kinder von ihrem Vergewaltiger an der Backe.

...

Überraschung!



SOMEDAY MY PRINCE WILL COME

"Schneewittchen" ist auch im 21. Jahrhundert noch fast allen Menschen ein Begriff. Es gibt unzählige Adaptionen:
-- Als Trickfilm - wie z.B. die Disney-Version von 1937, der erste abendfüllende Trickfilm des Studios,
-- als Spielfilm - wie z.B. "Mirror, Mirror" mit Julia Roberts und der Tochter von Phil Collins und "Snow White and the Huntsman" mit Kristen Stewart und Charlize Theron, um nur zwei Beispiele aus dem Jahr 2012 zu nennen,
-- Als TV-Serien - wie z.B. "Once Upon A Time" vom Disney-Fernsehsender ABC, oder auch
--- als Pornofilm.




Warum ist das Märchen so beliebt? Nun ja, durch "Schneewittchen" lernen unsere Kinder eine wichtige Tatsache, die heutzutage manchmal in Vergessenheit gerät. Nämlich, dass Frauen nur dazu da sind, um gut auszusehen.
Schneewittchen glänzt nicht gerade durch ihre Cleverness, doch ihre Schönheit rettet ihr gleich zwei mal das Leben. Zunächst verschont sie der Jäger aus diesem Grund. Später, als sie den vergifteten Apfel gegessen hat, entscheiden sich die sieben Bergmänner wegen ihrer Attraktivität dagegen, Schneewittchen zu beerdigen. In dem Zustand kann sie eh ihre Hauptaufgabe, gut aussehen, umso besser ausführen, da sie sich so nicht mehr wegen ihrer Dummheit ständig in Schwierigkeiten begibt. Also packen die Bergarbeiter sie wie ein Museumsstück in eine gläserne Truhe.

"Da wollten sie es begraben, aber es sah noch so frisch aus wie ein lebender Mensch und hatte noch seine schönen, roten Backen. Sie sprachen: 
»Das können wir nicht in die schwarze Erde versenken«, und ließen einen durchsichtigen Sarg von Glas machen, daß man es von allen Seiten sehen konnte, legten es hinein und schrieben mit goldenen Buchstaben seinen Namen darauf und daß es eine Königstochter wäre."





Schneewittchen verkörpert die ideale weibliche Märchenfigur: Schön, aber blöd. Wenn Frauen in den von den Grimm aufgezeichneten Geschichten Intelligenz zeigen, dann geschieht das fast immer in Form von Intrigen und Hinterlistigkeit. Schlaue Frauen sind in der Regel die Bösen: Entweder die böse Stiefmutter oder eine Hexe. Oder beides, wie die eitle Königin in "Schneewittchen".
Und selbst die benutzt ihr böses Genie und ihren Zauberspiegel einzig und allein dazu, um wieder die schönste Frau im Land zu werden.

Das Beste, das eine moralisch gute Frau in ihrem Leben als Märchenfigur erreichen kann, ist die Hochzeit mit einem Traumprinzen, um später mal Dekoration an der Seite eines Königs spielen zu dürfen.
Dabei ist Schneewittchen, wie viele andere Märchenhauptfiguren auch, selbst die Tochter eines Königs. Die Grimms, die sich ja auch sonst nicht davor scheuten, Volksmärchen drastisch umzuschreiben, hätten die Geschichte also auch damit enden lassen können, dass Schneewittchen als einziges Kind des Königs den Thron erbt und aktiv ein Reich regieren darf.
Dies wäre im 19. Jahrhundert auch nichts Nochniedagewesenes. Immerhin regierten Mary und Elisabeth Tudor England ab 1553 für ein halbes Jahrhundert und vor dem Erscheinen der letzten Auflage von Grimms Märchen trat Queen Victoria ihre noch längere Herrschaft über das britische Empire an. Doch keines der Märchen Grimms endet mit einer regierenden Königin.

Diese Sicht, dass Aussehen wichtiger ist als Verstand, Talent, Mitgefühl etc. ist ein furchtbares, Brechreiz inspirierendes Frauenbild aus einem dunklen Zeitalter - oder wenn ich es noch drastischer formulieren darf, es erinnert an "Germany's Next Topmodel".



THESE ARE THE GOOD TIMES

"Schneewittchen" kann auf verschiedenste Weise gedeutet werden. Eine mögliche Interpretation ist, dass das Märchen eine christliche Allegorie ist.
Der Apfel könnte dabei für die verbotene Frucht im Garten Eden stehen, die traditionsgemäß auch oft als Apfel dargestellt wird. Obwohl Schneewittchen niemandem die Türe aufmachen soll, lässt sie sich von der bösen Stiefmutter verführen, die als Schlange verkleidet ist, was Satan repräsentiert, der in der Bibel als Bäuerin verkleidet ist.
Wartet mal... Kann sein, dass ich da was verwechsele.

Der todesähnliche Zustand von Schneewittchen symbolisiert die Sünde, in der die Menschen leben, seitdem Gott sich als Satan verkleidet hatte, um die böse Schwiegermutter dazu zu überreden, die Schlange zu essen.

Der Prinz verkörpert Jesus, der uns von der Sünde befreit, in dem er siebenjährige Kinder heiratet. Oder war das Mohammed?.. Ne, Quatsch, das war ja eine Sechsjährige! Ich Doofkopf.

Ach ja, die guten alten Zeiten...






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MARIOS MÄRCHENSTUNDE

Teil 1: "Fressen und gefressen werden"
Teil 2: "Sieben auf einen Streich"
>>Teil 3: "Schön blöd"


1 Kommentar:

Juleschka hat gesagt…

Warum um Himmels Willen hat dieser Post keine Kommentare?! So witzig und oben drein informativ. Ich wusste zwar, dass die Grimms die gesammelten Märchen gerne einmal ergänzt und abgeändert haben, kannte aber die Vorversionen nicht. Dein Post hat mir einige amüsante Minuten bescherrt. Danke sehr! :)