24. November 2011

DIE ODYSSEE CHRISTI (Der Mythos Jesus Teil 10)









EINEM GESCHENKTEN GAUL...

Die frühsten schriftlichen Aufzeichnungen griechischer Mythologie, die uns erhalten sind, sind die Werke Homers. Während man lange dachte, Homer sei im Gegensatz zu seinem gelben Namensvetter keine fiktionale Figur, gehen heutzutage viele Forscher davon aus, dass die homerischen Hymnen und Epen von mehreren Autoren des 8. oder 9. vorchristlichen Jahrhunderts aufgeschrieben wurden und auf viele Jahrhunderte ältere Erzählungen zurückgehen - also nicht das Werk eines einzelnen historischen Dichters namens Homer sind.

Einer der Stars der homerischen Epen ist ein gewisser Odysseus. In der "Ilias", dem Epos über den trojanischen Krieg, ist er eine der Hauptfiguren. Anders als in allen anderen wichtigen Helden der griechischen Mythologie fließt in ihm kein göttliches Blut.
Odysseus ist voll Mensch und hat daher keine übernatürlichen Kräfte wie zum Beispiel Herkules. Er muss sich voll auf seinen Verstand verlassen. So ist es auch Odysseus, der die Idee hat, mit der die Griechen den Krieg gegen Troja gewinnen: Das trojanische Pferd - eine Statue in Pferdeform, in der sich die griechischen Soldaten verstecken.

Da sie keine feindlichen Soldaten mehr erspähen können, denken die Trojaner - die nicht solche Füchse wie Odysseus sind - sie hätten die zehn Jahre andauernde Belagerung ihrer Stadt endlich überstanden und sind überzeugt, das riesige Holzpferd sei eine Belohnung der Götter (Troja war damals für seine Pferdezucht berühmt).
Sie holen das Pferd in die Stadt und feiern ein Gelage. Als sie stark alkoholisiert ihren Schönheitsschlaf halten, kommen die im Pferd versteckten Soldaten hinaus und aus war's mit den Trojanern.
Die müssen doppelt leiden: Erstens sterben sie und dann dienen sie der Nachwelt als Name für PC-Schadsoftware - obwohl sie doch die Opfer und nicht die Täter bei der Attacke waren.

Für die gegen Troja zusammen kämpfenden griechischen Stadtstaaten und ihre Könige, darunter Odysseus, besteht Anlass zur Freude. Sie machen sich nach jahrelanger Abwesenheit auf den Heimweg in ihre Reiche. Doch für Odysseus sollte diese Reise zehn Jahre dauern...
D'Oh!





WER IST DIE SCHÖNSTE IM GANZEN LAND?

Die ganze Geschichte beginnt mit einer von Zeus' berühmt-berüchtigten Sex-Eskapaden. In Gestalt eines Schwans schwängert er die Königin von Sparta, Leda, die daraufhin ein Ei legt. Warum auch nicht?
Daraus schlüpfen die Zwillinge Kastor und Polydeukes, sowie ein Mädchen namens Helena, das eines Tages zur schönsten Frau der Welt werden würde.


Leda und Zeus als Schwan


Als die Götter im Olymp einige Jahre später eine Party feiern, taucht plötzlich ein goldener Apfel auf, mit der Inschrift "Kallista" - "Für die Schönste".
Die Göttinnen Hera, Athene und Afrodite streiten darum, wem der Apfel und der Titel gebührt. Sie fragen zunächst Zeus nach seiner Meinung, doch der ist zu clever und zu erfahren im Umgang mit Frauen, um sich von dieser Frage fangen zu lassen und antwortet ausweichend.

Nun bitten die Göttinnen den trojanischen Prinzen Paris um ein Urteil. Hera, die Gattin von Zeus, verspricht ihm große politische Macht, Athene bietet ihm große Weisheit an, falls er sich für sie entscheidet. Paris wählt schließlich Afrodite, die Göttin der Liebe, die ihm die Liebe der schönsten Frau der Welt schenkt.
Helena von Sparta reist mit Paris nach Troja, woraufhin sich Sparta mit einigen anderen griechischen Stadtstaaten verbündet, um Krieg gegen Troja zu führen und sich ihre Prinzessin wieder zu holen.


Das Urteil des Paris: Anton Raphael Mengs



TAKE THE LONG WAY HOME

Durch seinen Trick mit dem Holzpferd gewinnt Odysseus, der clevere König von Ithaka, schließlich den Krieg. Eigentlich sollte die Reise von Troja an der Mittelmeerküste der heutigen Türkei nach Ithaka nur ein paar Wochen dauern. Eigentlich.
Jedoch beleidigt Odysseus den Gott der Meere Poseidon, was ungünstig ist, wenn man mit dem Schiff unterwegs ist. Poseidon lässt Odysseus und seine zwölf Schiffe immer wieder vom Kurs abkommen, so dass die Heimreise zehn Jahre dauert.


Odysseus und der Zyklop


Unterwegs bereist Odysseus sagenhafte Orte und besteht große Abenteuer. Seine Fahrt führt ihn sogar bis ins Reich der Toten, den Hades, und wieder zurück.
Von diesen Geschehnissen erzählt das homerische Epos "Odyssee". Dieses Werk weist viele interessante Parallelen zu den Evangelien auf - insbesondere zum frühesten Jesus-Epos, dem Markus-Evangelium.

Das beginnt bei den Hauptfiguren. Odysseus ist König von Ithaka, aber auch handwerklich extrem begabt - so zimmert er eigenhändig ein Schiff, mit dem er über das Mittelmeer reist (Odyssee, 5:243-262). Zuvor schnitzt er seiner Frau Penelope ein Bett aus einem Baum (Odyssee, 23:184-204)  und ist an der Konstruktion des trojanischen Pferdes beteiligt. Während Odysseus also offensichtlich große handwerkliche Fähigkeiten besitzt, wird im Markus-Evangelium Jesus' Beruf mit "Tekton" - Handwerker - angegeben. Nicht, dass das für die Geschichte irgendwie wichtig wäre, oder er je irgendwas bauen würde.

Jesus wird als König der Juden bezeichnet und gibt seinen Zimmermanns-Job auf, um Wanderprediger zu werden. Dabei ist er im Markus-Evangelium sehr oft - und viel häufiger als in den anderen Evangelien - mit dem Schiff unterwegs (Markus 3:94:14:365:25:216:326:476:516:548:108:13).



STURMWARNUNG

Wie Odysseus wird Jesus auf einer Schiffsfahrt von einem Sturm überrascht. Doch Jesus ist so ein tougher Kerl, dass er dem Wind einfach droht und dieser darauf ängstlich abzieht.

"36 Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn, wie er im Schiff war; und es waren mehr Schiffe bei ihm.
37 Und es erhob sich ein großer Windwirbel und warf Wellen in das Schiff, also daß das Schiff voll ward.
38 Und er war hinten auf dem Schiff und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts darnach, daß wir verderben?
39 Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig und verstumme! Und der Wind legte sich, und es ward eine große Stille.
40 Und er sprach zu ihnen: Wie seid ihr so furchtsam? Wie, daß ihr keinen Glauben habt?
41 Und sie fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der? denn Wind und Meer sind ihm gehorsam."

(Markus 4:36-41)



Man könnte das durchaus als Kommentar zur Odyssee verstehen: Anders als Odysseus ist Jesus nicht dem rauen Klima des Meeres ausgeliefert, sondern beherrscht die Naturkräfte.

Versteht man die Passage allerdings als historisches Ereignis, wird sie unglaubwürdig. Immerhin finden alle Schiffsreisen im Markus-Evangelium auf dem See Genezareth statt. Der ist an seiner breitesten Stelle 13 Kilometer breit, an seiner längsten Stelle 21 Kilometer lang und ist an seiner tiefsten Stelle 140 Meter tief. Zum Vergleich: Der Bodensee ist an seiner breitesten Stelle 13 Kilometer breit, an seiner längsten Stelle 62 Kilometer lang an seiner tiefsten Stelle 240 Meter tief.
Der See Genezareth ist mit Sicherheit kein Gewässer, wo man von einem "großen Windwirbel" überrascht wird, welcher dann verschwindet, wann man ihn bedroht und mit ihm spricht. Höchstens wenn man zu viele Drogen genommen hat.
Ach ja, später läuft Jesus noch über das Wasser (Markus 6:45-52)...


Jesus und der Sturm, Rembrandt



DIE PASSION DES ODYSSEUS

Jesus wird im Allgemeinen als Sohn Gottes betrachtet und meistens auch als Gott selbst. Dies steht auch so im Evangelium von Johannes (10:30).

Im früheren Markus-Evangelium finden wir allerdings nichts, was uns annehmen lassen könnte, Jesus sei Gott persönlich. Im Gegenteil dazu wird seine Menschlichkeit oft betont. Schon im alten Testament konnten mit Gottes Hilfe ja auch Menschen Wunder vollbringen - wie Moses oder der Prophet Elia. Jesus wird bedeutend öfter "der Menschensohn" als "Sohn Gottes" genannt.

Ein Hauptmotiv der Christus-Sage ist das Leiden am Kreuz, - etwas, das nur durch die Menschlichkeit von Jesus möglich ist.
 Auch Odysseus leidet viel auf seiner beschwerlichen Reise. Dies wird schon in den ersten Versen der "Odyssee" betont:

"Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes,
Welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung,
Vieler Menschen Städte gesehn, und Sitte gelernt hat,
Und auf dem Meere so viel unnennbare Leiden erduldet,
Seine Seele zu retten und seiner Freunde Zurückkunft."


("Odyssee", 1:1-5)

Dadurch dass er anders als seine Helden-Kollegen kein Gottessohn, sondern ein reiner Menschensohn war, musste er seine Herausforderungen ganz allein mit menschenmöglichen Fähigkeiten bewältigen - was bekannterweise ziemlich lästig ist.


Odysseus und seine Männer, römisches Mosaik



THE SHAPE OF THINGS TO COME

Jesus und Odysseus leiden nicht nur für ihre Mission, sondern treten sie sogar im vollen Wissen um ihr zukünftiges Leid an. So prophezeit Jesus im Markus-Evangelium sein bevorstehendes Martyrium und seinen Tod.

"31 Und er hob an sie zu lehren: Des Menschen Sohn muß viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und über drei Tage auferstehen."

(Markus 8:31)



Jesus weiß also, dass er leiden und sterben muss und flieht dennoch nicht vor seinem Schicksal.
Odysseus trifft eine ähnliche Entscheidung, als er bei der schönen Nymphe Kalypso wohnt. Die bietet ihm nämlich ewiges Leben und ewige Jugend an, wenn er bei ihr bleibt. Außerdem prophezeit sie ihm viele weitere leidvolle Erfahrungen, falls er sie verlässt.

"Da begann das Gespräch die hehre Göttin Kalypso:
Edler Laertiad', erfindungsreicher Odysseus,
Also willst du mich nun so bald verlassen, und wieder
In dein geliebtes Vaterland gehn? Nun Glück auf die Reise!
Aber wüßte dein Herz, wie viele Leiden das Schicksal
Dir zu dulden bestimmt, bevor du zur Heimat gelangest;
Gerne würdest du bleiben, mit mir die Grotte bewohnen,
Und ein Unsterblicher sein: wie sehr du auch wünschest, die Gattin
Wiederzusehn, nach welcher du stets so herzlich dich sehnest!"

(Odyssee 5:202-210)

Odysseus kennt das Grauen und die Trostlosigkeit der Unterwelt bereits, da er auf seiner Reise zuvor schon im Hades war. Dort berichtet ihm sein ehemaliger Kriegsgefährte Achilles von den Schrecken der Unterwelt.

"Wir Achaier; und nun, da du hier bist, herrschest du mächtig
Unter den Geistern: drum laß dich den Tod nicht reuen, Achilleus!
Also sprach ich; und drauf antwortete jener, und sagte:
Preise mir jetzt nicht tröstend den Tod, ruhmvoller Odysseus.
Lieber möcht' ich fürwahr dem unbegüterten Meier,
Der nur kümmerlich lebt, als Tagelöhner das Feld baun,
Als die ganze Schar vermoderter Toten beherrschen.


(Odyssee 11:485-491)



Dennoch verlässt Odysseus die schöne Kalypso, um heldenhaft seine Bestimmung zu erfüllen. Da ist es verzeihlich, dass er zuvor mit der attraktiven Göttin eine kleine, siebenjährige Auszeit von den stressigen Abenteuern nimmt...


Arnold Böcklin - Odysseuss und Kalypso


"Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Zürne mir darum nicht, ehrwürdige Göttin! Ich weiß es
Selber zu gut, wie sehr der klugen Penelopeia
Reiz vor deiner Gestalt und erhabenen Größe verschwindet;
Denn sie ist nur sterblich, und dich schmückt ewige Jugend.
Aber ich wünsche dennoch und sehne mich täglich von Herzen,
Wieder nach Hause zu gehn, und zu schaun den Tag der Zurückkunft.
Und verfolgt mich ein Gott im dunkeln Meere, so will ich's
Dulden; mein Herz im Busen ist längst zum Leiden gehärtet!
Denn ich habe schon vieles erlebt, schon vieles erduldet,
Schrecken des Meers und des Kriegs: so mag auch dieses geschehen!"

(Odyssee 5:214-224)



WHATEVER WILL BE, WILL BE

Odysseus ist ein Held, weil er sich seinem Schicksal mutig stellt. Andere Figuren der griechischen Mythologie versuchen dagegen, ihrer prophezeiten Zukunft zu entkommen - was selten gut geht.

Ein Beispiel hierfür ist der König Laios, der nach einem Streit von einem konkurrierenden König verflucht wird. Das Orakel von Delphi verkündet Laios den Fluch und prophezeit ihm, eines Tages werde ihn einer seiner Söhne töten.
Wie sollte es anders kommen: Laios kriegt einen Sohn. Doch da er sich für besonders schlau hält, setzt er das Kind in den Bergen aus. Hirten finden das Kind und ziehen es auf. Als der Junge namens Ödipus erwachsen wird, hört er Gerüchte, dass die Hirten nicht seine leiblichen Eltern seien.
Er befragt das Orakel von Delphi, welches ihm voraussagt, dass er seinen Vater töten und seine Mutter heiraten werde. Dummerweise verrät das Orakel nicht, wer denn jetzt die Eltern von Ödipus sind. Entsetzt verlässt Ödipus seine Heimat. Dadurch, dass er versucht, der Prophezeiung zu entfliehen, macht er sie jedoch wahr.

Unterwegs kommen Ödipus und ein Fremder mit ihren Wagen gleichzeitig an eine Wegkreuzung. Die Beiden beginnen sich zu streiten, wer zuerst fahren darf. Man kennt das ja: Im Straßenverkehr vergessen eigentlich zivilisierte Menschen manchmal ihre Manieren. Und so endet der Streit tödlich, da Ödipus den Wüterich in Notwehr erschlägt.

Dann auch noch das: Auf dem weiteren Weg begegnet ihm eine Sphinx - ein Monster mit dem Kopf einer Frau, dem Körper eines Löwen, den Flügeln eines Adlers und dem Schwanz einer Schlange. Dieses seltsame Wesen frisst jeden, der ihr Rätsel nicht lösen kann: Was geht morgens auf vier Beinen, mittags auf zwei und abends auf drei?

Ödipus ist der erste, der die Antwort weiß: Der Mensch krabbelt am Anfang seines Lebens auf vier Beinen, dann geht er aufrecht und wenn er alt wird am Stock.
Da ihr Rätsel gelöst ist, stürzt sich die Sphinx einen Abgrund hinunter in den Suizid.


Jean Auguste Dominique Ingres: Ödipus und die Sphinx


In Theben angekommen scheint sich das Blatt für Ödipus zum Guten zu wenden. Weil er die Sphinx besiegt hat, wird er als Held gefeiert und sogar die schöne Königin ist an ihm interessiert. Es kommt noch besser: Da kürzlich ein unbekannter Unhold ihren Mann getötet hat, ist die Königin Witwe. Sie heiratet Ödipus und die beiden leben glücklich und zufrieden... bis Ödipus herausfindet, dass sie seine leibliche Mutter ist. Durch den Propheten Teiresias erfährt er außerdem, dass er einst an der Wegkreuzung unwissentlich seinen eigenen Vater getötet hat.
Aus Verzweiflung sticht Ödipus sich die Augen aus und lebt den Rest seines Lebens als Bettler.

Die Geschichte von Ödipus zeigt, dass man seinem Schicksal nicht entfliehen kann. Jedoch kann man Haltung bewahren und seiner Bestimmung mit erhobenem Haupt entgegen blicken. Dieses Ideal eines griechischen Helden erfüllt Jesus Christus vollends, wenn er sein Leiden und Tod am Kreuz voraussagt und ihm nicht zu entkommen versucht.



THREE TIMES A LADY

In der griechischen Mythologie spielt das Schicksal eine große Rolle. Drei alte Göttinnen, die Moiren, bestimmen das Leben eines jeden Sterblichen. Klotho spinnt den Faden, der den Lebensweg eines Menschen darstellt, Lachesis misst seine Länge aus und Atropos schneidet den Faden schließlich ab.
Dies erinnert an die hinduistische Dreifaltigkeit: Brahma ist dort der Erschaffer, Vishnu der Erhalter und Shiva der Zerstörer des Universums.

John Strudwick: Die Moiren


Den Weg, den die Moiren für jeden Menschen festgelegt haben, lässt sich nicht beeinflussen, nicht einmal von Göttern wie Zeus. Als Unsterbliche bestimmen die Götter im Olymp aber ihr eigenes Schicksal und haben die Herrschaft über die Erde. Auch nicht schlecht.

Nachdem das ältere Göttergeschlecht, die Titanen, von Zeus besiegt sind, losen drei Brüder über die Aufteilung der Weltherrschaft. Zeus bekommt den Himmel und die Erde, Poseidon das Meer und Hades wird zum König der Unterwelt.
Wenn man die Gunst einer dieser drei Götter verliert, hat man nichts mehr zu Lachen. Das erfahren Odysseus und seine Männer auf die harte Tour, als sie Poseidon verärgern, was - man kann es nicht überbetonen - keine gute Idee ist, wenn man eine Reise über das Meer geplant hat.


Auch im Christentum ist die göttliche Herrschaft dreigeteilt, in Vater, Sohn und heiligen Geist. Die werden gemeinhin als zu einem einzigen Gott gehörig verstanden.
Jedoch hat jede Person der Dreifaltigkeit eine einzigartige Erscheinungsform und individuelle Aufgaben. Jeder erfüllt seinen Teil, jeder ist nötig, doch ihre Arbeit ist nur im gesamten Wirken der drei sinnvoll.
Das ist auch bei den Moiren so und bei der indischen Dreifaltigkeit: Ohne Brahma, den Erschaffer, hat Shiva, der Zerstörer keinen sinnvollen Job - und umgekehrt. Die Moiren können das Schicksal nur gemeinsam spinnen und der christliche "Heilige Geist" kann seine Aufgabe als Kommunikationsweg zwischen göttlichen Vater und den Menschen auch nur dann erfüllen, wenn es einen solchen göttlichen Vater überhaupt gibt.

Doch auch wenn man auf dem Detail beharrt, dass die Dreifaltigkeit nicht aus drei Göttern besteht, sondern ein einzelner Gott ist, welcher halt zufällig aus drei Personen besteht, - selbst dann findet man schnell ähnliche Konzepte in der Kultur der alten Griechen und Römern.
So wurde die Göttin Diana an einer ihr geweihten heiligen Stätte am Nemisee in der Nähe von Rom schon seit dem sechsten Jahrhundert vor Christus als drei Figuren verehrt, die gleichzeitig eins sind: Die Göttin der Jagd, die Göttin des Mondes und die Göttin der Magie namens Hekate. Bei den Griechen war eben diese Hekate ebenfalls Teil einer drei-in-eins-Gottheit, zusammen mit Persephone und der Mondgöttin Selene.

Auch aus anderen Kulturen sind zahlreiche Götter bekannt, die drei mal so viele Götter sind wie ihre gewöhnlichen Artgenossen.


Hekate als dreifache Göttin



Domenico Beccafumi: Die Dreifaltigkeit. Jahwe, Jesus und heiliger Geist (als Taube)


Eine Herrschaft von drei Göttern, die in Zusammenarbeit die Welt regieren und verschiedene Aufgaben haben, weicht deutlich von den jüdischen, streng monotheistischen Vorstellungen ab - in der griechisch-römischen Welt war das jedoch nichts Neues.


Römische Darstellung - in Klammern griechische Entsprechungen. 
Im Vordergrund die Chefetage: Minerva (Athene), Jupiter (Zeus) und Juno (Hera)
Dahinter v.l.: Herkules (Herakles), Bacchus (Dionysos), Ceres (Demeter), Merkur (Hermes)


In Rom wurden als drei Obergötter Jupiter (Zeus), Juno (Hera) und Minerva (Athene) verehrt, die gemeinsame Tempel erhielten und als Mächtigste unter den Göttern angesehen wurden. Davor gab es im römischen Reich eine Dreiheit von anderen Göttern: Jupiter (Zeus), Kriegsgott Mars (Ares) und Quirinus.

Quirinus war der göttliche Name für den einst menschlichen Gründer Roms. Romulus lebte nach römischen Glauben wie Jesus Christus erst als Mensch auf der Erde und danach als Gott Quirinus im Himmel.
Doch es gibt noch weitere Parallelen zwischen den beiden. Romulus entstammt einer alten Königsfamilie - wie Jesus, dessen Vorfahre der israelitische König David gewesen sein soll.
Der Großvater von Romulus und rechtmäßige König, Numitor Silvius, wird jedoch von seinem jüngerem Bruder gewaltsam vom Thron verdrängt. Numitors Tochter Rhea Silvia wird gezwungen als jungfräuliche Priesterin im Tempel der Göttin Vesta zu leben. Damals war es üblich, Priesterinnen lebendig zu begraben, wenn sie ihr Zölibat brechen. Und so kann Rhea ihre Kinder  nicht behalten, die sie mit dem römischen Kriegsgott Mars zeugt, oder in anderen Versionen auch mit Herkules. Sie setzt die männlichen Zwillinge, Romulus und Remus, in einem Korb auf einem Fluss aus.

Die Kinder werden von Wölfen aufgezogen und wachsen zu den Stadtgründern Roms auf. Doch obwohl die beiden gemeinsam die Stadt gegründet haben, wird nur Romulus nach seinem Tod zu einem Gott gemacht.


Rubens: Romulus & Remus



SOME ARE DEAD AND SOME ARE LIVING

Im Markus-Evangelium wird uns von Jesus und seinen Jüngern berichtet, darunter zwei Brüder: Die Söhne des Zebedäus. Bis auf eine einzige Ausnahme werden sie stets zusammen genannt, in stets der selben Reihenfolge:

"19 Und da er von da ein wenig weiterging, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und Johannes, seinen Bruder, daß sie die Netze im Schiff flickten; und alsbald rief er sie.
20 Und sie ließen ihren Vater Zebedäus im Schiff mit den Tagelöhnern und folgten ihm nach."

(Markus 1:19, s. auch 1:29, 3:17, 5:37, 9:2, 10:35, 10:41, 13:3, 14:33)



Man erfährt nicht viel über diese Brüder, bis auf eine seltsame Bitte, den sie an Christus stellen.

"35 Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen: Meister, wir wollen, daß du uns tuest, was wir dich bitten werden. 
36 Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, daß ich euch tue? 
37 Sie sprachen zu ihm: Gib uns, daß wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit."

(Markus 10:35-37)



Zwei Brüder, die stets rechts und links von einer Gottheit sitzen: Die gibt es auch in der griechischen Religion, nämlich die Zwillinge Kastor und Polydeukes. Die schlüpften einst aus dem gleichen Ei wie ihre Schwester Helena. Manchmal wurden sie beide als unsterblich angesehen. In der bekannteren Variante der Geschichte ist aber nur einer der beiden Brüder unsterblich.




Polydeukes bittet darum seinen Vater Zeus, seine Unsterblichkeit mit Kastor teilen zu dürfen und so verbringen von da an beide die Hälfte ihrer Zeit im Hades und den Rest bei den Göttern im Olymp.
Die beiden Figuren tauchen immer gemeinsam auf und stehen bei antiken Statuen oft links und rechts neben einer Gottheit. Darstellungen mit Zeus, Artemis und Helios sind uns beispielsweise erhalten geblieben. Auch die Römer stellten die zwei als "Kastor und Pollux" neben ihre Götter, wie z.B. Chefgott Jupiter.


Kastor und Pollux links und rechts neben Jupiter, römische Darstellung


Zusammen werden die Zwillinge oft "Dioskuren" genannt, was "Söhne des Zeus" bedeutet. Da die zwei also Söhne des Donnergotts sind, kann man durchaus eine Anspielung auf diese Charaktere unterstellen, wenn Jesus Jakobus und Johannes als  Söhne des Donners bezeichnet.

"13 Und er ging auf einen Berg und rief zu sich, welche er wollte, und die gingen hin zu ihm.
14 Und er ordnete die Zwölf, daß sie bei ihm sein sollten und daß er sie aussendete, zu predigen,
15 und daß sie Macht hätten, die Seuchen zu heilen und die Teufel auszutreiben.
16 Und gab Simon den Namen Petrus;
17 und Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und Johannes, den Bruder des Jakobus, und gab ihnen den Namen Bnehargem, das ist gesagt: Donnerskinder"

(Markus 3:13-17)



Das Motiv von zwei Brüder, von denen nur einer sterblich ist, gibt es nicht nur in der griechischen Mythologie. Die mythischen Stadtgründer Roms sind das Zwillingspaar Romulus und Remus, von denen nur Remus das Zeitliche segnen muss.
Laut dem neuen Testament  stirbt auch nur einer der zwei so eng verbundenen Donnerbrüder, nämlich Jakobus.

"1 Um diese Zeit legte der König Herodes die Hände an etliche von der Gemeinde, sie zu peinigen.  
2 Er tötete aber Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert."

(Apostelgeschichte 12:1-2)



Laut einer sehr alten Kirchentradition, die schon im spätesten der Evangelien zu finden ist (Johannes 21:21-23), ist der Donnerbruder und Apostel Johannes in der Tat unsterblich und noch quicklebendig, wenn Jesus irgendwann zum Ende der Welt hin wiederkehrt.
Jesus schlägt den Söhnen des Zebedäus übrigens ihren Wunsch ab, an seiner Linken und Rechten sitzen zu dürfen. Dies sei nicht seine Entscheidung, sondern von einer höheren Macht vorherbestimmt.

"38 Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisset nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, und euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? 
39 Sie sprachen zu ihm: Ja, wir können es wohl. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; 
40 zu sitzen aber zu meiner Rechten und zu meiner Linken stehet mir nicht zu, euch zu geben, sondern welchen es bereitet ist."

(Markus 10:38-40)



Nachdem Jesus von seinen eigenen Leuten verraten wird, stirbt er am Kreuz - links und rechts neben ihm zwei ebenfalls zum Tode durch das Kreuz verurteilte Mörder.

"27 Und sie kreuzigten mit ihm zwei Mörder, einen zu seiner Rechten und einen zur Linken."

(Markus 15:27)




Andrea Mantegna: Jesus am Kreuz, rechts und links neben ihm Mörder



UND DES MENSCHEN FEINDE WERDEN SEINE EIGENEN HAUSGENOSSEN SEIN

Schuld an dem Leid von Odysseus und Jesus sind oftmals die Leute, die eigentlich ihre Verbündeten sein sollten. Jesus wird ans Kreuz genagelt, weil ihn einer seiner Jünger aus Gier verrät. Während die römischen Besatzer Jesus am liebsten laufen lassen würden und den Juden anbieten, ihn zu verschonen, bestehen diese auf die Hinrichtung des selbsternannten Königs der Juden. Und selbst Petrus, der Mann, den Jesus zu seinem Nachfolger bestimmt, verleugnet ihn dreimal bevor der Hahn kräht. Zum Mäuse melken!

Auch Odysseus muss viel unter den schlechten Eigenschaften seiner Gefährten und Untertanen leiden. So bekommt er beispielsweise vom Meister der Winde Aiolos einen Beutel geschenkt, in dem sich alle Winde befinden - bis auf den Westwind zum Nachhause fahren. Damit war die sichere Heimreise eigentlich garantiert.
Doch als Odysseus schläft, öffnen seine Männer den Sack, weil sie glauben, Odysseus verstecke Gold vor ihnen. So werden die Seefahrer wieder vom Winde verweht.


"Welche Klagen erheben die Sterblichen wider die Götter!
Nur von uns, wie sie schrein, kommt alles Übel; und dennoch
Schaffen die Toren sich selbst, dem Schicksal entgegen, ihr Elend."

(Odyssee 1:32-34)




I SEE DEAD PEOPLE

Jesus wird uns als größer, besser und schneller als Odysseus verkauft. Beide treffen die größten Propheten ihrer Tradition, doch auf sehr unterschiedliche Weise.

Odysseus begehrt den Rat vom blinden Seher Teiresias. Der Prophet wurde einst von den Göttern geblendet, weil er deren Geheimnisse an die Menschen verraten hatte. Leider ist er aber tot. Was nun? Der tollkühne Odysseus fährt einfach in den Hades und fragt persönlich nach.


Johann Heinrich Füssli: Odysseus in der Unterwelt


Jesus dagegen hat eine Begegnung mit den größten Propheten der jüdischen Tradition, Moses und Elia. Obwohl auch die bereits tot sind, kommen sie zu ihm und nicht umgekehrt (Markus 9:4-8). Auch scheinen sie keinen besonderen Zweck zu erfüllen, außer das Jesus vor seinen Jüngern mit ihnen angeben kann. Anders als Odysseus holt Jesus sich keine Ratschläge.


Lorenzo Lotto: Jesus mit toten jüdischen Propheten


Odysseus wird vom großen Seher Teiresias ausdrücklich davor gewarnt, die Rinder des Sonnengottes Helios zu verspeisen. Als die Crew später auf Helios' Insel landet, kann Odysseus seine hungrigen Männer aber dummerweise nicht zurückhalten. Als einziger Überlebender verlässt Odysseus die Insel wieder...



WHO ARE YOU? WHO? WHO? WHO? WHO?

Sowohl im Markus-Evangelium als auch in der Odyssee findet sich das immer wiederkehrende Motiv der versteckten Identität, gespickt mit einer großen Prise Ironie.

Odysseus verschleiert des Öfteren seine wahre Identität und gibt sich als jemand anderes aus. Als seine lange Reise endlich vorüber ist und er sein Heimatreich Ithaka erreicht, zieht er nicht offiziell aus der verlorene König ein, sondern betritt als Bettler verkleidet die Stadt.

Seine Frau Penelope, die nicht einmal weiß, ob ihr Mann noch am Leben ist, kann sich vor den zahlreichen Anwärtern, die sie heiraten und so zum König werden wollen, nach zwanzig Jahren der Abwesenheit des Königs kaum noch retten.
Bislang hatte sie behauptet, nur noch ein Totenhemd für Odysseus' greisen Vater weben zu wollen, wobei sie nachts stets den größten Teil ihrer Arbeit wieder zerstört hatte. Doch nach so vielen Jahren ohne König werden die Anwärter so ungeduldig, dass Penelope sie nicht weiter hinhalten kann.


John William Waterhouse: Penelope und die Anwärter


Penelope veranstaltet ein Bogenschießen, dessen Gewinner den Thron erhält. Odysseus betritt verkleidet den Königspalast und meldet sich für den Wettbewerb an. Dabei wird er von seiner ehemaligen Amme durch eine alte Narbe erkannt. Odysseus trägt ihr auf, seine wahre Identität für sich zu behalten.

"Aber Odysseus
Faßte schnell mit der rechten Hand die Kehle der Alten,
Und mit der andern zog er sie näher heran, und sagte:
Mütterchen, mache mich nicht unglücklich! Du hast mich an deiner
Brust gesäugt; und jetzo, nach vielen Todesgefahren,
Bin ich im zwanzigsten Jahre zur Heimat wiedergekehret.
Aber da du mich nun durch Gottes Fügung erkannt hast,
Halt es geheim, damit es im Hause keiner erfahre!"


(Odyssee 19:479b-487)


Odysseus gewinnt inkognito den Wettbewerb und verdient sich die Krone, die ihm eigentlich sowieso zusteht.

Auch Jesus versucht seine Identität als der Christus zu verheimlichen, indem er allen, die ihn erkennen, aufträgt, dicht zu halten und niemandem von ihm zu erzählen.

"15 Er sprach zu ihnen: Wer sagt denn ihr, daß ich sei?
16 Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!
17 Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jona's Sohn; denn Fleisch und Blut hat dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel.
18 Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.
19 Und ich will dir des Himmelsreichs Schlüssel geben: alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel los sein.
20 Da verbot er seinen Jüngern, daß sie niemand sagen sollten, daß er, Jesus, der Christus wäre."

(Matthäus 16:15-20)

"29 Und er sprach zu ihnen: Ihr aber, wer sagt ihr, daß ich sei? Da antwortete Petrus und sprach zu ihm: Du bist Christus!
30 Und er bedrohte sie, daß sie niemand von ihm sagen sollten."

(Markus 8:29-30)




DON'T ASK, DON'T TELL

Auch Zeugen von Wundern schärft Jesus ein, niemandem von seiner geheimen Superhelden-Identität zu berichten. Auch einem Elternpaar, deren Tochter er von den Toten zurück holt, verbietet Jesus es hart, von ihm zu erzählen.

  "35 Da er noch also redete, kamen etliche vom Gesinde des Obersten der Schule und sprachen: Deine Tochter ist gestorben; was bemühst du weiter den Meister?
36 Jesus aber hörte alsbald die Rede, die da gesagt ward, und sprach zu dem Obersten der Schule: Fürchte dich nicht, glaube nur!
37 Und ließ niemand ihm nachfolgen denn Petrus und Jakobus und Johannes, den Bruder des Jakobus. [...]
41 und ergriff das Kind bei der Hand und sprach zu ihr: Talitha kumi! das ist verdolmetscht: Mägdlein, ich sage dir stehe auf!
42 Und alsbald stand das Mägdlein auf und wandelte; es war aber zwölf Jahre alt. Und sie entsetzten sich über die Maßen.
43 Und er verbot ihnen hart, daß es niemand wissen sollte, und sagte, sie sollten ihr zu essen geben."

(Markus 5:35-43)


Die Jünger Petrus, Jakobus und sein Bruder Johannes werden später Zeugen einer eindrucksvollen Vorführung, bei der Jesus strahlt und in einer Vision Elia und Moses erscheinen. Doch auch dieses Abenteuer sollen die Jungs nach Jesus Wunsch erst einmal ihr kleines Geheimnis sein lassen.

"8 Und bald darnach sahen sie um sich und sahen niemand mehr denn allein Jesum bei ihnen. 
9 Da sie aber vom Berge herabgingen, verbot ihnen Jesus, daß sie niemand sagen sollten, was sie gesehen hatten, bis des Menschen Sohn auferstünde von den Toten."

(Markus 9:8-9)


Pietro Perugino: Die Transfiguration


Probleme bereiten Dämonen. Jesus hat zwar kein Problem damit, die Geister auszutreiben, doch muss er stark darauf achten, dass die nicht ausplaudern, wer er in Wirklichkeit ist.

"23 Und es war in ihrer Schule ein Mensch, besessen von einem unsauberen Geist, der schrie
24 und sprach: Halt, was haben wir mit dir zu schaffen, Jesus von Nazareth? Du bist gekommen, uns zu verderben. Ich weiß wer du bist: der Heilige Gottes.
25 Und Jesus bedrohte ihn und sprach: Verstumme und fahre aus von ihm!"

(Markus 1:23-25)

"10 Denn er heilte ihrer viele, also daß ihn überfielen alle, die geplagt waren, auf daß sie ihn anrührten.
11 Und wenn ihn die unsauberen Geister sahen, fielen sie vor ihm nieder, schrieen und sprachen: Du bist Gottes Sohn!
12 Und er bedrohte sie hart, daß sie ihn nicht offenbar machten."

(Markus 3:10-12)





Das oft benutzte Motiv der geheimen Identität führt zu ironischen Szenen, in denen zum Beispiel die jüdischen Schriftgelehrten Jesus über Gottes Willen und seine Gesetze belehren wollen - ohne zu wissen, dass er der Sohn Gottes ist.
Den Höhepunkt der Ironie ist im ursprünglichen Ende des Markus-Evangeliums zu finden. Das Ende, das in unserer heutigen Bibel steht, stimmt nicht mit den frühesten Manuskripten von Markus überein. Die enden alle mit dem 8.  Vers des 16. Kapitels: Darin finden Frauen das offene Grab Jesu, in dem sich ein unbekannter, mysteriöser Jüngling befindet, der Jesu Auferstehung verkündet. Leider erfährt niemand davon...

"5 Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Kleid an; und sie entsetzten sich. 
6 Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten; er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, da sie ihn hinlegten! 
7 Gehet aber hin und sagt's seinen Jüngern und Petrus, daß er vor euch hingehen wird nach Galiläa, da werdet ihr ihn sehen, wie er gesagt hat. 
8 Und sie gingen schnell heraus und flohen von dem Grabe; denn es war sie Zittern und Entsetzen angekommen. Und sie sagten niemand etwas, denn sie fürchteten sich."

(Markus 16:5-8 - ursprüngliches Ende)



In dieser Original-Version verlassen die Jünger Jesu vor der Kreuzigung und erfahren niemals von der Auferstehung, da die Frauen aus Angst keinem etwas verraten.

Die späteren Evangelien führen das versteckte-Identität-Motiv noch nach Jesu Auferstehung fort. Das Lukas-Evangelium erzählt, wie der auferstandene Christus einen Mann namens Kephas trifft, der ihn nicht erkennt und ihn kritisiert, weil er die Nachricht von Jesus Christus wohl noch nicht gehört habe.

"15 Und es geschah, da sie so redeten und befragten sich miteinander, nahte sich Jesus zu ihnen und wandelte mit ihnen. 
16 Aber ihre Augen wurden gehalten, daß sie ihn nicht kannten.
17 Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Reden, die ihr zwischen euch handelt unterwegs, und seid traurig?
18 Da antwortete einer mit Namen Kleophas und sprach zu ihm: Bist du allein unter den Fremdlingen zu Jerusalem, der nicht wisse, was in diesen Tagen darin geschehen ist?
19 Und er sprach zu ihnen: Welches? Sie aber sprachen zu ihm: Das von Jesus von Nazareth, welcher war ein Prophet mächtig von Taten und Worten vor Gott und allem Volk;
20 wie ihn unsre Hohenpriester und Obersten überantwortet haben zur Verdammnis des Todes und gekreuzigt."

(Lukas 24:15-18)


Im Johannes-Evangelium erscheint Jesus zunächst Maria Magdalena, die ihn allerdings auch erst nicht erkennt und  für einen Gärtner hält (Johannes 20:15).



NOBODY IS PERFECT

Sowohl für Odysseus als auch für Jesus hat die Aufdeckung ihrer wahren Identität böse Folgen.

Odysseus und zwölf seiner Männer werden von dem menschenfressenden Zyklopen Polyphem gefangen genommen. Nachdem er ein paar von Odysseus' Leuten verspeist hat, fragt der einäugige Riese Odysseus nach seinem Namen. Dieser entgegnet, er heiße "Niemand".
Schließlich gelingt es Odysseus und seinen überlebenden Gefährten, den Zyklopen betrunken zu machen und danach zu blenden. So können sie aus seiner Höhle fliehen.


Nicht hübsch, aber unter den Blinden ist er König...


Die anderen Zyklopen hören die Schmerzensschreie von Polyphem, kommen herbei und fragen ihn, wer ihm das angetan habe. "Niemand" sei das gewesen, "Niemand" habe ihn verletzt, lautet die Antwort. Was soll dann denn die ganze Aufregung, denken sich die anderen Zyklopen und wenden sich wieder den Dingen zu, die Zyklopen nun einmal so tun. Mit diesem Trick gelingt es Odysseus und Co die Insel der Zyklopen in einem Stück zu verlassen, indem sie von den Einäugigen unbemerkt an den Bäuchen von Schafen festgebunden ihr Schiff erreichen.

Während er davon segelt, verrät Odysseus dem blinden Zyklopen in einem Anfall von Übermut, dass sein richtiger Name "Odysseus" ist und nicht "Niemand".
Das hätte er besser nicht getan. Denn der blinde Zyklop beschwert sich bei seinem Papa über Odysseus. Und dies ist blöderweise Poseidon, der Gott des Meeres, den man als Seereisender nicht zum Feind haben will...


Jacob Jordaens, Odysseus und der Zyklop


Als die wahre Identität von Jesus öffentlich enthüllt wird, durch den Kuss des Judas Iskariot, besiegelt dies sein Todesurteil.
Die Szene, in der Judas Jesus an die Hohepriester verrät, mag literarisch sinnvoll sein - im Gesamtkontext des Markus-Evangeliums ist sie jedoch sehr merkwürdig. Wozu wird Judas bezahlt? Offenbar brauchen die Hohepriester seine Hilfe, da sie nicht wissen, wie Jesus aussieht.
Das ist komisch, den zuvor berichtet das Markus-Evangelium davon, wie Jesus öffentlich die Händlerstände im Tempel demoliert und ein religiöses Streitgespräch mit den Hohepriestern führt.

"15 Und sie kamen gen Jerusalem. Und Jesus ging in den Tempel, fing an und trieb aus die Verkäufer und Käufer in dem Tempel; und die Tische der Wechsler und die Stühle der Taubenkrämer stieß er um, 
16 und ließ nicht zu, das jemand etwas durch den Tempel trüge. 
17 Und er lehrte und sprach zu ihnen: Steht nicht geschrieben: "Mein Haus soll heißen ein Bethaus allen Völkern"? Ihr aber habt eine Mördergrube daraus gemacht. 
18 Und es kam vor die Schriftgelehrten und Hohenpriester; und sie trachteten, wie sie ihn umbrächten. Sie fürchteten sich aber vor ihm; denn alles Volk verwunderte sich über seine Lehre. [...] 
27 Und sie kamen abermals gen Jerusalem. Und da er im Tempel wandelte, kamen zu ihm die Hohenpriester und Schriftgelehrten und die Ältesten 
28 und sprachen zu ihm: Aus was für Macht tust du das? und wer hat dir die Macht gegeben, daß du solches tust? 
29 Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Ich will euch auch ein Wort fragen; antwortet mir, so will ich euch sagen, aus was für Macht ich das tue. 
30 Die Taufe des Johannes, war sie vom Himmel oder von den Menschen? Antwortet mir!"

(Markus 11:15-18,27-30)


Caravaggio - Der Kuss des Judas


Auf literarischer Ebene erfüllt das Motiv der versteckten Identität im Markus-Evangelium seinen Zweck. Doch wenn es sich bei dem Evangelium um einen Tatsachenbericht handelt, welcher der Welt von der Existenz Jesus Christi überzeugen soll und wenn alle, die nicht an seine Existenz glauben, in die Hölle kommen - dann ist es schon etwas seltsam, dass Jesus so vehement versucht, seine Existenz geheim zu halten.



THE GREATEST STORY EVER TOLD?

Die griechische Mythologie und das neue Testament haben einiges gemeinsam. Allein über die Parallelen zwischen dem Markus-Evangelium und Homer könnte man ganze Bücher schreiben. Zum Glück haben das andere bereits getan, wie der Theologie-Professor Dennis R. MacDonald in seinem Werk "The Homeric Epics And The Gospel Of Mark"

Neben den vielen Gemeinsamkeiten zwischen der Religion der Griechen und die der Christenheit gibt es natürlich auch große Unterschiede.

Die griechischen Mythen sind viel cooler. Helden kämpfen darin in gefährlichen Abenteuern gegen schreckenerregende Monster.
In den Geschichten der Evangelien läuft Jesus dagegen meist durch die Gegend und erzählt den Menschen, wie schlecht sie doch sind und wie toll er und seine Anhänger dagegen sind. Er trifft zwar Satan in der Wüste, aber nutzt diese Gelegenheit nicht, um den Teufel zu töten, sondern hält auch ihm Moralpredigten und zitiert die Bibel. Da hat er es ihm aber gegeben!
Auch die ganze Kreuzigungssache ist nicht wirklich spannend, da Jesus lange vor dem eigentlichen Ereignissen prophezeit, dass dies passieren wird und auch passieren muss.

Im Buch der Offenbarung dagegen kämpft auch Jesus gegen Monster: Zunächst gegen den falschen Propheten, dann ein siebenköpfiges Monster aus dem Meer, dann einen siebenköpfigen Drachen. Die erinnern durchaus stark an die vielköpfigen Ungeheuer der griechischen Sagen.
Doch in diesen Geschichten tritt Jesus in seiner rein göttlichen Form auf. Er ist daher also unsterblich und allmächtig. Da kann man als Leser die Spannung kaum aushalten, wer den wohl den Kampf gewinnen wird...



Monstertrio aus dem neuen Testament: 
Der falsche Prophet, die Schlange und das Tier aus dem Meer


Um in einer Geschichte Spannung aufzubauen, muss man seinen Helden in Schwierigkeiten bringen, er braucht würdige Gegner, er muss etwas zu verlieren haben.
Der Knackpunkt ist, dass die Figuren Entscheidungen treffen und dabei vor Fehlern nicht gewappnet sind. Jesus Christus ist im Gegensatz dazu viel zu perfekt. Wenn er der ist, der er behauptet, macht er niemals Fehler und wenn der Allmächtige auf seiner Seite ist, kann es auch keine würdigen Gegenspieler für seine Mission geben.

Die griechischen Helden stehen dagegen Gegnern gegenüber, die ihnen ebenbürtig sind. Meistens sind sie sogar körperlich stärker, so dass unsere Protagonisten sich raffinierte Tricks ausdenken müssen, um zu siegen. Außerdem sind sie in der Regel auch sterblich und haben daher etwas zu verlieren.

In den Sagen der Griechen sind die Helden und ihre Verbündeten ständig in Gefahr, so dass man mit ihnen mitfiebern kann. Zumal nicht alle Geschichten ein Happy End haben. Ein Beispiel für eine Geschichte mit schlechten Ausgang ist die Sage von Jason und den Argonauten. Jason besteht viele Abenteuer auf der Suche nach dem goldenen Vlies. Unterstützt wird er dabei von einem All-Star-Team von griechischen Helden, darunter Herkules und Orpheus, dessen Abstieg in die Unterwelt ja auch tragisch endete.
Nach vielen Anstrengungen bekommt Jason das goldene Vlies, das ihn zum König macht. Dummerweise beleidigt aber danach die Götter und verliert alles wieder.

Odysseus kommt zwar heil wieder zu Hause an, verliert auf seiner Reise jedoch jeden einzelnen seiner Männer.


Jason kämpft gegen Skelettsoldaten - Wie cool ist das denn?!


Die griechische Mythologie erzählt durchaus viel Interessantes über die menschliche Natur, verpackt in Metaphern von großen Abenteuern. Und das funktioniert, ohne dass die Protagonisten ständig allen Leuten ungefragt den erhobenen Zeigefinger entgegenstrecken und ihnen sagen, was sie zu tun und zu lassen haben.

Die griechischen Helden erleben nicht nur die aufregenderen Abenteuer, sie sind auch interessantere Figuren. Jesus ist laut Bibel ein sündenloser Mensch (2 Korinther 5:21). Zwar könnte man aus moderner Sicht seinen religiösen Eifer, der oft in beleidigende Intoleranz und Jähzorn ausartet, negativ bewerten. Jedoch zerdeppert Jesus nur die Geschäftsstände von Händlern im Tempel, während Herkules in einem Wutanfall seinen Musiklehrer Linus ermordet, weil der ihn kritisiert hatte...

Jesus hat gar keine erotischen Beziehungen, wogegen die meisten griechischen Helden ständig irgendwelche Affären haben - mit Männern und Frauen übrigens. Von den zehn Jahren seiner Odyssee verbringt Odysseus sieben bei einer für ihre Schönheit berüchtigten Nymphe.
Und während Jesus auch noch aus dem Wein trinken eine Predigt macht, feiern die griechischen Helden wilde Gelage und nehmen coole Drogen wie Odysseus und seine Männer auf der Insel der Lotus-Esser.

"Aber die Lotophagen beleidigten nicht im geringsten
Unsere Freunde; sie gaben den Fremdlingen Lotos zu kosten.
Wer nun die Honigsüße der Lotosfrüchte gekostet,
Dieser dachte nicht mehr an Kundschaft oder an Heimkehr:
Sondern sie wollten stets in der Lotophagen Gesellschaft
Bleiben, und Lotos pflücken, und ihrer Heimat entsagen."

(Odyssee 9:92-97)



Odysseus und Kalypso


Ein weiterer Pluspunkt der heidnischen Mythen ist, dass heutzutage niemand die Sagen für historische und religiöse Fakten hält und einem erzählen will, dass man sein Leben danach ausrichten soll.

Kein irdischer Vertreter von Zeus, der auf Staatskosten Reden im Bundestag hält.
Keine Zeugen Jupiters, die an der Tür klingeln und vom göttlichen Sohn Herkules erzählen, der für die Menschheit große Dienste geleistet hat und dabei sogar ins Reich der Toten und zurück gereist ist.
Und niemand, der sich und andere Menschen mit einer selbstgebastelten Bombe in die Luft sprengt, weil das so in der Odyssee steht.

Religion kann durchaus Spaß machen - wenn nur keiner daran glaubt.


William Turner: Odysseus flieht vor dem Zyklopen




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SERIE: "DER MYTHOS JESUS"

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